Prof. Ernst Peter Fischer als Gast der Literarischen Gesellschaft fordert die gedankliche Flexibilität seines Publikums heraus.
AUTOR: N.N.
MÜNCHNER MERKUR VOM 08.03.2024
GRÄFELFING (MM) - Bei der Suche nach dem Innersten der Welt werde man am Ende nur sich selbst entdecken, prognostizierte Prof. Dr. Ernst Peter Fischer. Einen außergewöhnlichen Blick auf die Welt der Quantenmechanik eröffnete auf der Physiker, Biologe und Wirtschaftshistoriker seinem Publikum am Mittwochabend in der Aula des Kurt- Huber-Gymnasiums (KHG). Die Literarische Gesellschaft Gräfelfing lud zu diesem Vortrag ein.
"Die Stunde der Physiker" heißt das aktuelle Buch von Prof. Dr. Ernst Peter Fischer. Auf Einladung der Literarischen Gesellschaft lud er das Gräfelfinger Publikum zu einem anspruchsvollen Ausflug in die Welt der Quantenmechanik ein. FOTO: DAGMAR RUTT
Leitfaden war Fischers jüngste Veröffentlichung seines neuen Buches Die Stunde der Physiker. Versiert wie reich an Anekdoten sowie anschaulich berichtet Fischer darin vom großen Jahrzehnt der Physik zwischen 1922 und 1932 den genialen Protagonisten dieser Zeit. Ferner beschrieb er die Folgen, welche die völlig neue Theorie der Atome und der Materie mit sich bringen sollte. Die Quantenmechanik ist heute eine tragende Säule der modernen Physik. Als eine heute experimentell bestätigte physikalische Theorie beschreibt die Gesetzmäßigkeiten von Zuständen und Vorgängen der Materie. Ohne sie gäbe es heute keine iPhones, so Fischer, der an den Universitäten Konstanz und Heidelberg lehrte. Geradezu verrückt sei dabei die Tatsache, dass die Entwicklung des Handys wie ganz allgemein unserer modernen Welt einer erdachten Zahl zu verdanken sei. Diese imaginäre Einheit i ist eine sogenannte nicht-reelle Zahl mit der Eigenschaft i zum Quadrat = -1.
In seinem Buch geht Prof. Fischer eigene Wege. Er habe versucht, die Naturwissen-schaft als Geisteswissenschaft zu begreifen, eröffnete er seinen Zuhörern und plä-dierte für einen romantischen Blick auf die Welt. “Das romantische Denken nimmt an, dass es neben dem Sichtbaren gleichberechtigt das Unsichtbare gibt", erklärte er. Vergleichbar trete bei der Quantenphysik das Wirkliche hinter das Mögliche zu-rück, das Potenzielle sei wirklicher als das Konkrete, und Atome blieben unbe-stimmt, solange bis sie vermessen würden.
Einer der Pioniere der neuen Denkweise war der Wissenschaftler und Träger des Nobelpreis, Wolfgang Ernst Pauli (1900-1958). Ihn zitierte und Fischer wie folgt: “Die nicht mehr klassische Naturwissenschaft ist zum ersten Mal eine Theorie des Werdens." Fischer erkläre es wie folgt mit seinen eigenen Worten: „Wenn das Ein-zige, was ich von der Wirklichkeit habe, die Information darüber ist, dann ist diese Information die Wirklichkeit." Physik und Chemie seien gleichermaßen schöpfe-rische Tätigkeiten, gleich zur Dichtung und Malerei. Die Aufklärung habe nur My-then erbracht.
Der Vortrag, der auch einen entwicklungsgeschichtlichen Abriss darlegte, verlangte den Zuhörern ab, sich auf die Idee einzulassen. Am Ende kam auch Widerspruch aus dem Publikum. Es gebe aber doch auch ganz gesicherte wissenschaftliche Er-kenntnisse, warf ein Zuhörer ein. „Es bleibt am Ende das Staunen, dass eine Wis-senschaft, deren Ansatz es ist, Wirklichkeit als Möglichkeit zu begreifen, so erfolg-reich ist", entgegnete Fischer. Auch im Dialog mit seinem Publikum zeigte sich der Wissenschaftler aufgeschlossen und überbordend an Begeisterung für das eigene Fach. Er fügte hinzu: „Die Quantentheorie ist noch lange nicht abgeschlossen."
Das Buch:
„Die Stunde der Physiker. Einstein, Bohr, Heisenberg und das Innerste der Welt" (288 Seiten) ist als 2. Auflage 2022 im Beck-Verlag, München, erschienen.