Zeitgeschichte:
Hans Maiers Zuversicht in die Gegenwart

Foto: Catherina Hess
Hans Maier, 90, stellt in Gräfelfing sein neues Buch "Deutschland -
Wegmarken seiner Geschichte" vor.
Der Historiker und frühere Kultusminister
zeichnet bei der Vorstellung seines neuen Buches in Gräfelfing
ein optimistisches Bild vom Zustand der Demokratie in Deutschland - und
prognostiziert eine Renaissance der Volksparteien.
Von
Rainer Rutz, Gräfelfing
Lesungen und Diskussionen mit dem
früheren bayerischen Kultusminister Hans Maier sind immer ein
intellektueller Hochgenuss. Das Publikum im Gräfelfinger Bürgerhaus durfte
dies am Dienstagabend ein weiteres Mal erleben, als der 90-Jährige aus
seinem neuen Buch "Deutschland - Wegmarken seiner Geschichte" vorlas und
sich danach - und das war der eigentlich interessante und berührende Teil
des Abends - den Fragen seiner Fangemeinde stellte. Die übrigens bestand
nicht nur aus reiferen Semestern, sondern zum Beispiel auch aus einer Klasse
des Feodor-Lynen-Gymnasiums, die mit ihrer Lehrerin, der Planegger
Gemeinderätin Angelika Lawo, gekommen waren. Das Bürgerhaus war voll
besetzt, knapp 200 Besucher waren gekommen. Sie alle erlebten einen Meister
der Sprache, der auch schwierigste historische Zusammenhänge so erklärte,
dass sie kausal, logisch und vor allem verständlich erschienen. Klaus
Stadler von der hundert Jahre alten "Literarischen Gesellschaft
Gräfelfing" hatte
es zuvor auf den Punkt gebracht: "Maier ist ein Redner, den man verstehen
kann, akademischer Jargon ist ihm eher fremd."
Maier, lange Jahre Professor an der
LMU München und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken,
referierte zunächst über die verschiedenen Deutungen des Wortes "deutsch",
das er aufgrund der Historie als ein "spätes Wort" bezeichnete. Es waren vor
allem die Nazis, die mit dem Begriff "deutsch" und damit in Verbindung mit
dem Wort "Reich" ihr Schindluder betrieben, sagte Maier. Es sei "eine
falsche Aneignung" gewesen, meinte er und habe "keinerlei Traditionen"
aufgewiesen, sondern sei eine "Tyrannis ohne Schranken" gewesen: "Die Partei
befiehlt dem Staat." Nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Zeit einer
"Inflation des Wortes Reich" vorbei gewesen, ebenso wie "die Zeiten
politischer Religionen." Nach der Hitler-Diktatur habe eine "innere
Zuwendung zur Demokratie" stattgefunden. Es gebe heute, konstatierte der
Historiker, "trotz schwieriger Zeiten eine Zuversicht in die Gegenwart".
Mehrere Besucher wünschten eine Einschätzung der Gefahr
durch rechte Parteien in Deutschland. Maier erinnerte an etliche rechte
Bewegungen, die es nach 1945 in Deutschland gegeben hatte und die es
teilweise in den Bundestag geschafft hatten - sogar die FDP sei einmal eine
ausgesprochen rechte Partei gewesen, so ähnlich wie die FPÖ im heutigen
Österreich. Es habe die NPD und die Republikaner gegeben, "aber ich war mir
immer sicher, dass die auch wieder verschwinden". Mit der AfD verhalte es
sich anders, meinte Maier: "Die haben sich im Osten ganz schön etabliert."
Man könne durchaus von einer "drohenden Entwicklung sprechen", zumal Rechte
und Linke nach Maiers Einschätzung "oft ähnliche Thesen vertreten."
Zwei starke Volksparteien - "die glücklichsten Jahre in Deutschland"
Der Historiker und Politiker Maier
meinte mit Blick auf die derzeitigen "langen Koalitionsverhandlungen und die
jetzigen vielen politischen Gruppierungen im Bundestag", für ihn seien die
langen Jahre eines Systems zweier starker Volksparteien CDU/CSU und SPD die
"glücklichsten in Deutschland" gewesen. Und er glaubt auch, dass es wieder
"richtige Volksparteien" geben werde - da ist sich Maier sogar einig mit dem
linken SPD-Politiker Kevin Kühnert, wie er sagte. "Ich glaube daran, obwohl
das Zerbröseln in sechs Parteien innere Unruhe bringt", sagte Maier. Die
Entwicklung der Grünen sieht der Christsoziale Maier "durchaus erstaunlich
und positiv: Sie zeigt, dass die Demokratie eine formende Kraft ist."
Insgesamt glaubt Maier, dass die demnächst regierende Ampel-Koalition "ein
durchaus starkes demokratisches Potenzial" hat. Langanhaltender Applaus.
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